Bernadotte zaudert, Bülow schlägt los
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  G R O S S B E E R E N    B E I   B E R L I N

[Vorbemerkung: Bernadotte, der schwedische Kronprinz, ehemals einer von Napoleons Marschällen, war als Oberkommandierender der Nordarmee Bülows Vorgesetzter. - Die Schlacht bei Großbeeren].

Bernadottes Eitelkeit

Bernadotte

Bernadotte nach Rota

Was hatte dieser napoleonische Marschall Bernadotte gemein mit dem heiligen Zorn des deutschen Volkes? Sein Vaterland hatte er aufgegeben, doch nicht das französische Selbstgefühl. Vor sieben Jahren war er denselben preußischen Generalen, die sich nun seinen Befehlen fügen sollten, als Sieger gegenübergetreten; er dachte klein von ihrer Begabung und fragte verächtlich, ob das die Männer seien, die den großen Napoleon schlagen sollten...
   An den Preußen war es - so sagte er unverholen - ihre Hauptstadt mit ihrem Blute zu verteidigen. Da er in seiner Eitelkeit sich selber für den gefährlichsten Gegner Napoleons hielt, so erwartete er sicher, der Imperator werde seine beste Kraft gegen ihn wenden...
   Den preußischen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebenswürdigkeit des geistreichen, redseligen Südländers, doch bald wurden sie mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze einer großen Armee, ebenso zaudernd und bedachtsam verfuhr wie im Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein widerwärtiger Streit brach aus. Die Generäle Bülow und Borstell, beide unter den preußischen Kameraden bekannt als unbequeme Untergeben von starkem Eigensinn, fühlten sich in ihrem Gewissen gedrungen, mit Ratschlägen und Vorstellungen dem Kommandierenden entgegenzutreten...

   Oudinots Armee rückte von Sachsen aus heran, 70 000 Mann stark, Truppen aus allerlei Volk: Franzosen, Italiener, Kroaten, Polen, Illyrier, dazu die übelberufene Division Durutte mit ihren Scharen begnadigter Deserteure und Verbrecher. Die Hauptmasse aber bildeten Deutsche aus Sachsen, Westfalen, Bayern, Würzburg; ein glorreicher Einzug in Berlin sollte die Rheinbündner wieder fester an die französische Sache ketten...

   Die halbkreisförmige starke Verteidigungslinie, welche die morastigen Gewässer der Nuthe und der Notte sechs Stunden südlich von Berlin bilden, wurde nach lebhaften Gefechten von den Franzosen überschritten, da Bernadotte das sumpfige Waldland mit ungenügenden Streikräften besetzt hatte. Bereits drang ihre Vorhut durch die Waldungen bis nach Großbeeren vor; gelang ihr sich dort zu behaupten, so hatte das feindliche Heer nur noch die freie Ebene des Teltower Landes zu durchschreiten und konnte ohne Aufenthalt in Berlin einziehen. Dem schwedischen Kronprinzen lag wenig an der Behauptungder preußischen Hauptstadt, längst hatt er schon alle Vorbereitungen für die Räumung Berlins, für den Rückzug über die Spree getroffen. In fieberischer Spannung lauschten die Bürger auf den Kanonendonner, der von Süden herrüber klang. Sie wußten, was Ihnen drohte; Napoleon hatte befohlen, die verhaßte Stadt in Brand zu schießen.

Die Schlacht bei Großbeeren bei Berlin
Da, am Nachmittag des 23. August, entschloß sich Bülow, eigenmächtig das Korps Reyniers bei Großbeeren anzugreifen, bevor Oudinot und Bertrand zur Unterstützung herankam. Während Borstell den Feind in der rechten Flanke faßte, richtete Bülow selbst seinen Angriff gegen das Zentrum in Großbeeren...

   Gegen Abend war Großbeeren genommen, trotz des heldenhaften Widerstandes der Sachsen, und Reynier trat den verlustreichen Rückzug durch das Waldland an. Daß sein Korps nicht gänzlich aufgerieben wurde, verdankt er allein dem schwedischen Kronprinzen, der, taub für alle Bitten Bülows, nur eine einzige schwedische Batterie und einen Teil der russischen Geschütze am Kampfe teilnehmen ließ, statt durch einen rechtzeitigen Angriff auf Reyniers linken Flügel dem geschlagenen Feinde das Garaus zu machen... Oudinot gab das Spiel verloren, ging mit seiner gesamten Armee auf Wittenberg zurück.

Der allezeit glückliche Bülow
Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Scharen auf das Schlachtfeld hinaus, ihre Befreier zu begrüßen... Das Beste blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländischen Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: - so hieß er jetzt seit den Siegen von Luckau und Großbeeren... Geistreich und fein gebildet, in jungen Jahren eine Zierde des Salons des Prinzen Louis Ferdinand, ein Kenner der Künste und begabter Komponist, zeigte er in seinem äußeren Auftreten gar nichts von jener fortreißenden begeisternden Macht, die aus Blüchers Flammenaugen blitzte. Wer hätte den unscheinbaren kleinen Mann für einen Feldherrn gehalten, wenn er so still in Überrock und Feldmütze, einen Kantschu über die Schulter, auf seinem kleinen dauerhaften Rotschimmel dahertrabte? Aber die Offiziere wußten, was sie an dem gerechten und wohlwollenden, durchaus wahrhaftigen und gradsinnigen Führer hatten; der Mannschaft war er ein sorgsamer Vater, sie schwor auf ihn und glaubte fest, unter dem könne es nicht fehlgehen...

   Seit dem Erfolge von Großbeeren trat er dem Kronprinzen mit der ganzen Schroffheit seines Selbstgefühls entgegen; er wagte sogar, in den Zeitungen dem parteiisch gefärbten Schlachtberichte des Oberfeldherren zu widersprechen. Die preußischen Generale nahmen sich vor, dem hinterhaltigen Zauderer nicht zu gehorchen, falls er wieder einmal die günstige Stunde zum Angriff versäumen sollte - ein gefährlicher Entschluß, der allein durch die unnatürlichen Verhältnisse in diesem Koalitionsheere entschuldigt werden konnte.
Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, 1907-1912

Napoleons Order an den Herzog von Reggio, Charles Oudinot
“Sollte Berlin Widerstand leisten, so lassen Sie die Stadt durch Granaten in Brand schießen, und suchen Sie die Stadtmauer durch schwere Feldgeschosse in Trümmer zu legen.”
Theodor Rehtwisch, 1812-1815 Geschichte der Freiheitskriege, o.J. (1914)

 

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